Die Formel, die immer wieder aufkommt, ist die Forderung nach höheren Steuern vor allem für Reiche. Doch führt das tatsächlich zu mehr Gerechtigkeit? Zwar ist es einerseits auch auf Basis des Grundgesetzes nachvollziehbar, dass wer mehr hat, auch stärker für das Gemeinwohl einstehen muss („Eigentum verpflichtet“), doch das alleinige Erheben höherer Abgaben schafft noch keine Gerechtigkeit. Nur weil Reiche dann weniger haben, wird es Armen nicht besser gehen.
Änderungen im Steuersystem?
Der Spitzensteuersatz von 42 % fällt derzeit ab einem Jahresbruttoeinkommen von 52.882, – € an. Wer ein solches Einkommen hat, ist keineswegs reich. Eine Erhöhung würde vor allem die Mittelschicht treffen. Im Endeffekt würde also die Schere zwischen arm und reich noch weiter auseinanderklaffen.
Der nächsthöhere, allgemein als „Reichensteuer“ bekannte Satz von 45 % fällt ab 250.731, – € brutto im Jahr an. Hier ist durchaus noch Luft nach oben. Ein zusätzlicher Abgabesatz von 50 % oder mehr – beispielsweise ab 500.000, – € brutto – wäre eine mäßige Anhebung, die sich deutlich auf die Steuereinnahmen auswirken, den Betroffenen aber nicht wirklich wehtun würde. Auch eine höhere Erbschaftssteuer und Kapitalertragssteuer (also Abgaben auf leistungsloses Vermögen) sind regelmäßig im Gespräch. Bislang blieb der politische Wille aus, sie wirklich zu realisieren.
Im Gegenzug wäre es machbar, den Grundfreibetrag (derzeit 8354, – €) anzuheben. Diese Maßnahme würde die unteren Einkommen entlasten und so tatsächlich für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorge.
Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze?
Doch der bedeutendste Hebel für Verteilungsgerechtigkeit liegt zurzeit nicht im Steuersystem, sondern bei den Sozialabgaben. Durch die Beitragsbemessungsgrenze entsteht hier eine enorme Ungleichheit, die kaum zu rechtfertigen ist. Es geht um die Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten-, Pflege-, und Arbeitslosenversicherung. Sie machen einen bestimmten Prozentsatz des Brutteinkommens, bei Arbeitnehmern aus und werden aufgeteilt in Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil.
Zur Errechnung des prozentual zu zahlenden Anteils wird der Lohn bzw. das Einkommen nur bis zu einer bestimmten Grenze herangezogen – darüberhinausgehendes Einkommen bleibt unberücksichtigt. Das bedeutet konkret, dass Gutverdiener auf einen bestimmten Teil ihres Einkommens keine Sozialabgaben leisten können. Im Ergebnis müssen Menschen, die unter einer bestimmten Grenze verdienen, den vollen Abgabensatz leisten. Dieser Satz wird bei steigendem Einkommen anteilig immer kleiner. Wer wenig hat wird also prozentual wesentlich stärker belastet als der, der viel hat.
Neben der mangelnden Gerechtigkeit gehen hierdurch auch den gesetzlichen Versicherungen beträchtliche Summen durch die Lappen. Einnahmen, die das solidarische Umlagesystem dringend benötigt, allen voran die gesetzliche Rentenversicherung.
Arme werden belastet, Reiche entlastet
Ein Beispiel: Im Jahr 2014 liegt die Beitragsbemessungsgrenze in der Renten- und Arbeitslosenversicherung bei einem Bruttojahreseinkommen von 71.400, – € und in der gesetzlichen Krankenversicherung bei 48.600, – € pro Jahr. Bis zu diesem Einkommen müssen die vollen Abgabesätze gezahlt werden. Wer etwa doppelt so viel verdient, der zahlt prozentual gesehen um die Hälfte weniger in die Sozialversicherungen ein, weil der Teil des Einkommens, der über der Bemessungsgrenze liegt, nicht berücksichtigt wird.
Das Ergebnis ist Verteilungsungerechtigkeit, Belastung Armer, Entlastung Reicher und Belastung der Sozialversicherungstöpfe. Bei einem Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze könnten diese über ein deutlich höheres Budget verfügen.
Warum also wird an der Beitragsbemessungsgrenze nichts geändert? Das Argument lautet, dass die Versicherten dann noch mehr als bisher in private Versicherungen abwandern würden, damit ihre Kosten nicht explodieren. Das würde nur zu einer weiteren Erosion des Solidarsystems führen.