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Welche Auswirkungen hat TTIP auf den Verbraucherschutz?
Die pauschale Auffassung, der Verbraucherschutz werde flächendeckend aufgeweicht, weil US-Standards unter europäischen Vorschriften lägen, stimmt so nicht, denn sowohl aufseiten der EU als auch der USA gelten in bestimmten Bereichen strengere Regeln als beim Vertragspartner in spe.
von Thomas Schulz
Welche Auswirkungen hat TTIP auf den Verbraucherschutz?. Das transatlantische Handelsabkommen zwischen den USA und der EU hat viele Gegner.
© greensefa/flickr

So entfällt in den USA zwar die Deklarierung genveränderter Sojabohnen, für die es in der EU strenge Kennzeichnungsvorschriften gibt, bei Medizinprodukten hingegen sind die US-Gesetze schärfer. Für Herzschrittmacher beispielsweise hat die EU niedrigere Hürden für eine Zulassung angesetzt. Die staatliche US-Behörde FDA prüft solche Produkte deutlich strenger als die EU-Behörden. In Lebensmitteln wiederum erlauben die USA viel höhere Pestizidrückstände. In Europa müssen etwa Nahrungsmittel für Babynahrung absolut frei von solchen Rückständen sein.

Was bedeutet die Angleichung der Standards konkret?

Es gibt Fälle von deutschen Herzpatienten, die unter den laschen EU-Vorschriften leiden. Bei einer nicht mehr funktionierenden Herzklappe könnten sie etwa einen Mitraclip eingesetzt bekommen, der eine Herz-OP vermeiden soll, aber oftmals nicht funktioniert. Ein entsprechender Fall ging jüngst durch die Medien. Diese Technologie ist in Europa zugelassen, allein es fehlen zu ihr aussagekräftige Studien über die Wirksamkeit. In den USA wäre das undenkbar, die FDA hat diesen Clip mangels entsprechender Studien nur unter sehr starken Einschränkungen zugelassen. Bestimmte Patienten dürfen ihn nicht erhalten, wenn das Risiko zu hoch ausfällt. Ein weiteres Medizinprodukt sind die PIP-Brustimplantate, die weltweit viele Tausend Frauen in Gefahr brachten. Sie waren in der EU, aber nicht in den USA zugelassen. Im Klartext heißt das: TTIP könnte gerade auf dem sensiblen Markt der Medizinprodukte europäische Verbraucher viel besser schützen. Die deutschen Krankenkassen begrüßen daher TTIP, sie halten das Abkommen für eine Chance, zu niedrige EU Standards auf das höhere Niveau in den USA anzuheben. Das äußerte unter anderem vor wenigen Wochen Ann Marini, die stellvertretende Pressesprecherin des Spitzenverbandes der GKV. Europa würde laut Marini profitieren. Es müssten bei vielen Medizinprodukten US-Standards her, um die Patienten zu schützen. Die Vertreter der europäischen Medizinprodukte-Industrie wehren sich: Der Verbandssprecher der Spectaris Tobias Weiler fordert stattdessen gegenseitige Marktzugänge für europäische Produkte in den USA und US-Produkte in Europa. Sein Verband vertritt die Hersteller von optischen, medizinischen und mechatronischen Technologien. Das können die Amerikaner nicht wollen, denn US-Patienten würden anschließend mit niedriger standardisierten europäischen Produkten konfrontiert. TTIP ist also keine Einbahnstraße in Richtung niedrigerer Verbraucherschutz in Europa, weil US-Produkte unseren Markt überschwemmen.

Was ist mit Genfood?

Genfood ist das rote Tuch für deutsche und europäische Verbraucherschützer, wenn es um TTIP geht. Und tatsächlich könnten hier die Standards für europäische Verbraucher nachteilig aufgeweicht werden. Bislang gilt in Europa die Nulltoleranz für Genprodukte auf dem Lebensmittelsektor, wenn diese nicht ausdrücklich zugelassen wurden und dann müssen sie gekennzeichnet sein. Das Freihandelsabkommen CETA, das die EU schon mit Kanada ausgehandelt hat und das in weiten Teilen eine Blaupause für TTIP darstellt, könnte demnächst um einen Grenzwert für Gentechnik erweitert werden. Damit würde der hohe EU-Standard sukzessive aufgeweicht, eine Tendenz, die durch TTIP noch mehr droht. Diese Tendenz trägt einen Namen: Die TTIP-Verhandlungspartner nennen das “regulatorische Kooperation”. Damit ist gemeint, dass die EU mit den USA und Kanada künftig bei der Gesetzgebung zusammenarbeiten muss. Noch bevor im EU-Parlament über ein Gesetz beraten wird, würde dieser Entwurf mit der US-Regierung und -Wirtschaft abgestimmt werden. Die amerikanischen Einwände wären dann zu berücksichtigen. Das sollte dann allerdings auch umgekehrt gelten. Ein Trost für europäische Verbraucherschützer ist das nicht, wie der Food Watch Sprecher Thilo Bode anmerkt. Seiner Auffassung nach dürften die etablierten und gewachsenen demokratischen Prozesse in Europa geschwächt werden. Es gäbe ohnehin auf dem Kontinent genügend schwache Parlamente, die der Lobbyarbeit aus Übersee nicht gewachsen seien. Bode befürchtet immense Einschränkungen beim europäischen Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Gesundheitsschutz. Die US-Unternehmen könnten (bislang unkontrollierbare) Schiedsgerichte anrufen, um ihre Interessen gegen parlamentarische Vorhaben aus der EU zu wahren. Die Vertreterin der CEO (Corporate Europe Observatory, eine Nichtregierungsorganisation) Pia Eberhardt merkt an, dass dringende Regulierungsvorhaben künftig spät oder gar nicht mehr implementiert würden, mit denen Menschen und Umwelt geschützt werden können.

TTIP – ein Konzernermächtigungsabkommen?

Es gibt ernsthafte Indizien, dass die Bedenken von europäischen Verbraucherschützern und NGOs berechtigt sind. Die EU-Kommission möchte nämlich sogar einen “Rat für Regulatorische Kooperation” schaffen. Das wäre ein Supergremium, das künftige Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit TTIP prüft. Alle Interessen von europäischen und amerikanischen Unternehmen wären dabei zwingend zu berücksichtigen. Juristisch bedeutsam ist dabei, dass TTIP, wenn es einmal fertig ausgehandelt ist, ein völkerrechtlicher Vertrag sein wird. Die sich daraus ergebenden gravierenden Folgen erläutert Professor Dr. Markus Krajewski von der Uni Erlangen-Nürnberg: Ein Parlament wie das der Europäischen Union kann durchaus Gesetze ändern und aushebeln, die für das europäische Binnen- und Außenverhältnis gelten. Einen Völkerrechtsvertrag hingegen können die Europaparlamentarier nicht antasten. Journalisten des ARD-Magazins Plusminus verweisen auf ein ihnen vorliegendes Papier aus dem Bundeskanzleramt, in welchem die künftige Machtbeschneidung der Europäer unverblümt eingeräumt wird. Der Regulierungsspielraum von EU-Mitgliedstaaten werde durch TTIP künftig teilweise nur noch eingeschränkt funktionieren, heißt es da. CEO-Sprecherin Pia Eberhardt bestreitet daher die Rolle von TTIP als “klassisches Freihandelsabkommen”. Es sei vielmehr “ein Konzernermächtigungsabkommen”, befördere kaum den Freihandel, weite aber sehr deutlich die Macht der Unternehmen und ihren Einfluss auf politische Prozesse beiderseits des Atlantiks aus. Diese Entwicklung werde unumkehrbar sein, so Eberhardt gegenüber Journalisten vom “Handelsblatt”. Das absolute Verbot von Pestizidrückständen in der Babynahrung werde auf Nimmerwiedersehen verschwinden, auch anderen EU-Errungenschaften gibt die CEO-Vertreterin keine Chancen mehr.

Argumente pro TTIP

Argumente für das Abkommen gibt es von jungen Leuten, die eine absolut liberale Wirtschaftsposition vertreten und beispielsweise in der Initiative “Pro TTIP” vertreten sind. Erwartungsgemäß unterstützt auch der BDI (Deutscher Industrieverband) wenigstens in Teilen das Abkommen uneingeschränkt. Man verweist auf die riesigen Wirtschaftsräume EU und USA, außerdem auf den Anteil der transatlantischen Wirtschaft (zu der auch EU-Kanada gehört) am Welt-BIP: Etwa 46 % der weltweiten Produktion ein Drittel des globalen Handels finden auf beiden Seiten des Atlantiks statt. Auch das bilaterale Handelsvolumen zwischen Deutschland und den USA solle man nicht ignorieren, so ein BDI-Statement vom März 2015. Es belief sich 2014 auf fast 145 Milliarden Euro, die niemand riskieren könne.

von Thomas Schulz

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