Die Ungleichheit in Deutschland nimmt seit Jahren zu, das ist eine messbare Tatsache. Die Armut wächst, ebenso der Reichtum in den Händen von wenigen. Während eher politisch links orientierte Kreise die „Umverteilung von unten nach oben“ schon lange kritisieren, stehen Ratingagenturen wie Standard & Poor’s eher nicht unter Sozialismusverdacht. Im Jahr 2014 aber mahnte eben jene Agentur an, eine zu große Ungleichheit schade der Wirtschaft. Eine zu große Ungleichverteilung der Vermögen und Einkommen führe zu Wirtschaftskrisen. Das ist auch leicht nachzuvollziehen: Denn je weniger Geld die große Masse der Menschen zur Verfügung hat, desto schwächer ist der Konsum, desto schwächer ist der Import, desto niedriger ist das Binnenwachstum. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.
Erbschaften dürfen Ungleichheit nicht zementieren
Wenn einer der ganz großen Akteure des globalen Kapitalismus mehr Verteilungsgerechtigkeit anmahnt, dann wissen wir: Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern schon zehn nach.
Die Erbschaftssteuer wäre ein Hebel, mit dem man in dieser Frage etwas bewegen könnte – sie weiterhin niedrig zu halten widerspricht jeder ökonomischen Vernunft. Die Studie „Erben in Deutschland 2015 – 2024“ des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) kam unlängst zu dem Ergebnis, dass Erbschaften in der heutigen Form die Ungleichheit verfestigen. In der Regel sind diejenigen, die viel erben, bereits wohlhabend, da sie aus wohlhabenden Familien stammen. Enorme Mengen Geld bleiben also über Generationen hinweg immer in denselben Kreisen. Rund ein Drittel des vererbten Vermögens geht an nur zwei Prozent der Bevölkerung, während rund 13% gar nichts oder Schulden erben.
Gerechte Lösungen helfen der Wirtschaft
Der emeritierte Ökonomieprofessor Guy Kirsch aus Freiburg forderte im Januar 2016 gar 100% Erbschaftssteuer. Jede Erbschaft solle in einen Fond fließen, aus dem jeder Erbe denselben Betrag erhält. In puncto Verteilungsgerechtigkeit wäre diese sicher die gerechteste Lösung. Dass sie aber bei weit mehr Menschen als den reichsten zwei Prozent auf Gegenwehr stoßen würde, versteht sich ebenfalls.
Aber auch eine weniger radikale Lösung könnte die Verhältnisse deutlich verbessern. Man könnte einen großzügigen Freibetrag von 150.000 bis 300.000 Euro festsetzen – damit zum Beispiel nicht ein geerbtes Haus verkauft werden muss, damit der Erbe die Steuerschuld begleichen kann. Jeder zusätzliche Euro würde mit 90% besteuert. So bliebe jedem Erben ein immer noch beachtlicher Betrag, während alles besteuerte Erbvermögen wie in Kirschs Vorschlag in einen Verteilungsfonds fließen könnte. Voraussetzung dafür, dass so etwas auch funktioniert, wäre zusätzlich eine massive Anhebung der Schenkungssteuer. Auch das beinhaltet Kirschs Idee.
Unternehmen: Arbeitnehmer müssen beteiligt werden
Aber wie sieht es aus, wenn ein Unternehmen oder Betrieb vererbt wird? In dem Fall funktioniert weder eine so hohe Besteuerung noch die Übergabe an einen Fond – denn dafür müsste der Betrieb veräußert werden. Eine Option wäre, den Erben zu verpflichten, die Mitarbeiter des Unternehmens mit 50% Anteilen am Unternehmen zu beteiligen und den Betrieb für eine festzulegende Zeit fortzuführen. Heißt beispielsweise: Wird der Betrieb binnen eines bestimmten Zeitraums veräußert, greift nachträglich die Regelung von 90% Erbschaftssteuer. Im anderen Fall profitieren die Arbeitnehmer, was auch hier zu größerer Verteilungsgerechtigkeit führt.
Gangbare Optionen gibt es viele, und zweifellos braucht es spezielle Lösungen für Einzel- und Sonderfälle. Um Ausnahmeregelungen mit dem üblichen Missbrauchspotential wird man kaum herumkommen. Aber fest steht: Es muss sich etwas bewegen. Eine niedrige Erbschaftssteuer können wir uns auf Dauer nicht mehr leisten.