Bei jeder sich bietenden Gelegenheit warnt die Arbeitgeberlobby vor apokalyptischen Folgen jeglicher arbeitnehmerfreundlicher Reform. Nun soll es die Rente mit 63 sein, die den Betrieben zu schaffen macht und den Fachkräftemangel verschärft. So zumindest stellte es Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer unlängst gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) dar. „Fast 700.000 Versicherte haben inzwischen die neue abschlagsfreie Rente ab 63 in Anspruch genommen. Das hat für Betriebe und Beitragszahler schmerzhafte Folgen“, sagte er demnach.
Arbeitnehmer: Gute Gründe für Rente mit 63
Demselben Bericht zufolge weist der DGB dies zurück. Die Probleme seien hausgemacht. Zu Recht fragt der Gewerkschaftsbund nach den Gründen für die hohe Zahl an Arbeitnehmern, die sich für den vorzeitigen Ruhestand entscheiden – jetzt, wo er ihnen nach 45 Beitragsjahren ohne Abschläge ermöglicht wird. Daraus ergibt sich die These, dass zufriedene Arbeitnehmer keinen Grund haben, die Rente mit 63 in Anspruch zu nehmen. Und da könnte etwas dran sein. Denn die Klage von Kramer bedeutet nichts weniger als die indirekte Forderung, Arbeitnehmer wieder schlechter zu stellen, damit man sie im Betrieb halten kann, weil sie ansonsten Angst vor Abzügen bei der Rente haben.
Das ist dieselbe Geisteshaltung wie die, aus der die Panikmache bei Einführung des Mindestlohns entsprang oder die Tatsache, dass Gewerkschaften in zahllosen Betrieben heute systematisch verhindert werden. Einerseits beklagt man sich über Menschen, die ihren verdienten Lebensabend genießen möchten – andererseits ist die Zahl der Arbeitslosen über fünfzig ungebrochen hoch, viele werden zwangsverrentet, weil sie aufgrund ihres Alters als nicht mehr vermittelbar gelten. Anspruch und Wirklichkeit der Arbeitgeberverbände klaffen weit auseinander.
Dem Fachkräftemangel mit Angeboten entgegenwirken
Demgegenüber stünde die Frage: Was kann ich meinen Arbeitnehmern bieten, um sie länger im Betrieb zu halten? Anstatt zu jammern, könnte man denjenigen eine überzeugende Gehaltserhöhung anbieten oder ein attraktives Altersteilzeitmodell. Aber stattdessen findet man auf der Website des BDA Passagen wie diese: „Flexible Beschäftigungsformen wie Zeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeit und Minijobs haben entscheidend zum kräftigen Beschäftigungsaufbau der letzten Jahre beigetragen. Sie sind unverzichtbare Bausteine eines ausgewogenen Gesamtpaketes für mehr Arbeitsmarktdynamik insgesamt. Vielfach erleichtern sie den Einstieg in Arbeit und bieten neue Beschäftigungsperspektiven gerade auch für gering Qualifizierte und Langzeitarbeitslose. Dieser Einstieg darf nicht verbaut werden. Vielmehr müssen die Anstrengungen intensiviert werden, um mehr Menschen den beruflichen Aufstieg zu ermöglichen.“
Arbeitgeber sind in der Bringschuld
Das Loblied auf die Agenda-Reformen der Schröder-Regierung wird konsequent weitergesungen. Dass die Reformen positive Effekte hatten ist unbestritten. Ebenso unbestritten ist aber auch, dass der genannte „berufliche Aufstieg“ nicht existiert. Die Zahl jener Menschen, die es dauerhaft aus dem ALG II in den ersten Arbeitsmarkt schaffen, liegt im Promillebereich. Der gepriesene Beschäftigungsaufbau war rein quantitativ, aber kaum qualitativ. Millionen Menschen befinden sich heute in prekären, schlecht bezahlten und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, die keine Lebensplanung mehr zulassen.
Wenn Kramer dann noch die Rente mit 63 als „schmerzhaft“ für die Beitragszahler bezeichnet, ist das eine perfide Aussage. Einerseits gegenüber jenen, die 45 Jahre lang ihre Beiträge eingezahlt haben. Andererseits gegenüber jenen, die so schlecht bezahlt werden, dass sie kaum einzahlen können und zwangsläufig in der Altersarmut enden werden. Nicht die Arbeitnehmer, sondern die Arbeitgeber wären hier in der Bringschuld. Aber lieber beklagen sie Probleme, die sie selbst verursachen.