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Geringverdiener: Mehr Arbeit bringt nicht mehr Geld
Laut einer ZEW-Studie lohnt es sich für Geringverdiener nicht, mehr zu arbeiten. Denn das zusätzliche Einkommen wird von Steuern und Abgaben aufgefressen. Manche haben sogar weniger, wenn sie mehr Arbeit leisten.
von Gerrit Wustmann
Geringverdiener: Mehr Arbeit bringt nicht mehr Geld
© Bartolomiej Pietrzyk / 123rf

Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung untersuchte das Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, wie sich die Grenzbelastung von Steuern und Abgaben auf die wirtschaftliche Situation von Geringverdienern auswirkt. Die Ergebnisse sind besorgniserregend. Wer wenig verdient hat kaum Anreiz, mehr zu arbeiten. Denn in den unteren Einkommensklassen wird zusätzlicher Verdienst meist komplett durch entsprechend ansteigende Steuern und Abgaben aufgefressen, teils bleibt unter dem Strich sogar weniger Geld übrig, als wenn die Betroffenen ihre Arbeitszeit nicht erhöht hätten.

Das liegt auch daran, dass ab bestimmten Grenzen eventuelle Ansprüche auf Transferleistungen wie ALG II oder Wohngeld wegfallen. Der zusätzliche Verdienst reicht aber oft nicht aus, um diese Verluste zu kompensieren. Das bedeutet: Mehr zu arbeiten lohnt sich für die meisten Geringverdiener nicht.

Wer mehr verdient behält auch mehr

Das ZEW hat dafür sechs unterschiedliche Haushaltstypen unter die Lupe genommen und den Effekt von Einkommenszuwächsen durchgerechnet. Anschließend wurde ermittelt, wie viel von jedem zusätzlich verdienten Euro in den Taschen der Arbeitnehmer landet: „So muss ein Singlehaushalt mit einem Jahresbruttoeinkommen von 17.000 Euro jeden zusätzlich verdienten Euro komplett abgeben, während bei einem Jahreseinkommen von 75.000 Euro von jedem zusätzlich verdienten Euro 56 Cent verbleiben. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Alleinerziehenden: Erst ab einem Einkommen von 41.000 Euro jährlich sinkt die Grenzbelastung  auf 44 Prozent; bei einem Einkommen von 23.800 Euro beträgt die Grenzbelastung dagegen 60 Prozent.“

Je mehr man also verdient, desto mehr kann man auch von seinem zusätzlichen Einkommen behalten. Und das obwohl Gutverdiener es sich eher leisten können, höhere Abgaben zu zahlen, während bei vielen Geringverdienern jeder Euro existentiell ist. Als Ursache hierfür erkennen die Studienautoren vor allem die Beitragsbemessungsgrenze. Sie sorgt dafür, dass Gutverdiener einen weit geringeren Anteil ihres Einkommens für die Sozialversicherungen aufwenden müssen als Menschen, die nur ein geringes Einkommen haben.

Studie ignoriert eigene Erkenntnisse

Umso interessanter ist, dass diese Erkenntnis in den von den Autoren gemachten Lösungsvorschlägen gänzlich ignoriert wird. Stattdessen schlagen sie vor, ALG II, Kinderzuschlag und Wohngeld zusammenzulegen. Das hätte den Effekt, dass die Berechtigungsgrenze für viele Transferleistungsempfänger niedriger liegen würde. Zwar hätten sie dann mehr von ihrer Mehrarbeit, aber eben auch geringere staatliche Hilfe. Außerdem wäre es schwieriger, auf Einzelfallösungen einzugehen. Ein weiterer Vorschlag ist die Abschaffung des Solidaritätszuschlags sowie das Ehegattensplitting zu reformieren.

Wirklich überzeugend sind all diese Vorschläge nicht. Ihr Effekt wäre, das belegen die Zahlen der Studie, eher gering. In manchen Fällen würden Transferleistungsempfänger schlechter gestellt. Die Lösung, die die Autoren erkennen aber nicht weiter behandeln, wäre die Pflichtversicherung in den gesetzlichen Kassen für alle Bürger (die so genannte Bürgerversicherung) bei gleichzeitiger Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze. Der Effekt: Man könnte die Sozialabgaben um mehrere Prozentpunkte senken, was bei Geringverdienern zu mehr verfügbarem Nettoeinkommen führen würde. Die Mehrbelastung bei Gutverdienern wird als Option aber ausgeklammert.

von Gerrit Wustmann

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