Bereits 85 Grundeinkommen von je 1000 Euro für eine Laufzeit von zwölf Monaten hat die Initiative „Mein Grundeinkommen“ verlost. Eingesammelt wird das Geld per Crowdfunding. Welche Erfahrungen machen die Gewinner? Wie ändert sich ihr Leben – und welche Probleme gibt es bei den politisch diskutierten Grundeinkommensmodellen?
Weshalb ist ein Grundeinkommen aus Ihrer Sicht wünschenswert oder gar notwendig?
Lichtenberg: Es ist notwendig, weil die Mittelschicht immer weiter bröckelt, es ist sinnvoll als gesellschaftlicher Kitt und auch weil die Arbeitswelt sich verändert. Mit der zunehmenden Automatisierung und Digitalisierung werden viele Arbeitsplätze wegfallen und man muss die Frage stellen, wie das aufgefangen werden kann, ohne dass immer mehr Menschen in finanzielle Not geraten.
Wir vertreten kein spezielles Grundeinkommens-Modell, sondern möchten die Debatte antreiben und neue Perspektiven einbringen, indem wir zeigen, wie sich ein Grundeinkommen auswirken kann. Das finnische Modell beispielsweise sehen wir kritisch und fragen, ob das überhaupt ein Grundeinkommen sein kann, wenn es nur in Höhe der Hälfte des Existenzminimums liegt. Das wirkt eher wie eine Subventionierung von Dumpinglöhnen. Aus unserer Sicht soll ein Grundeinkommen existenzsichernd sein und es den Menschen ermöglichen, angst- und sorgenfrei leben zu können, ohne den neoliberalen Druck im Nacken.
„Die Leute arbeiten mehr und sind selbstbestimmter“
Welche Erfahrungen machen die Gewinner des Grundeinkommens?
Lichtenberg: Bislang haben wir 85 Grundeinkommen verlost. Alle Empfänger und Empfängerinnen berichten, dass sie weniger Sorgen haben, besser schlafen, keine Existenzangst mehr haben. Bei den meisten löst es Tatendrang aus. Zum Beispiel versuchen Personen in prekärer Lage, die Zeit mit Grundeinkommen zu nutzen, um sich ein zweites berufliches Standbein zu schaffen.
Davon abgesehen, dass diese Personen nun mehr Geld zur Verfügung haben – wie ändert sich ihr Leben außerdem?
Lichtenberg: Der größte Effekt, den wir beobachten, ist, dass die Leute tendenziell mehr arbeiten. Aber eben aus einer selbstbestimmten Perspektive. Viele waren auch vorher mit ihrem Job zufrieden, arbeiten nun aber mit größerer Freude, weil sie weniger Druck und mehr Freiheit verspüren. Andere haben sich den Jobwechsel getraut. Zum Beispiel hat eine Callcenter-Mitarbeiterin eine Pädagogenausbildung gemacht. Einigen geht es sogar gesundheitlich besser. Wir hatten den Fall eines Morbus-Crohn-Patienten, der erstmals nach 10 Jahren sein Cortison absetzen konnte, weil er weniger Stress hatte und sich seine Lage dadurch deutlich verbesserte.
Die Debatte über ein Grundeinkommen voranbringen
Dass zusätzliches Geld ohne Bedingungen hilfreich ist, versteht sich von selbst. Was möchten Sie darüber hinaus mit dem Experiment erreichen?
Lichtenberg: Wir möchten die Debatte voranbringen. Zu Anfang gab es häufig zwei Gegenargumente: Zum einen hieß es, ein Grundeinkommen sei nicht finanzierbar, zum anderen wurde befürchtet, dass Menschen faul werden und weniger arbeiten, wenn sie bedingungslos abgesichert sind. Durch Experimente wie unseres hat sich inzwischen gezeigt, dass dieses Argument nicht haltbar, dass sogar das Gegenteil der Fall sein kann. Vielleicht nimmt sich mal jemand eine Auszeit, aber die meisten Menschen wollen einer Tätigkeit nachgehen. Heute wird mehr über die Finanzierung gesprochen, und es gibt bereits verschiedene Ansätze, die funktionieren, und die von politischen Parteien besprochen werden.
Aber ist es überhaupt realistisch, dieses Experiment auf die politische Realität zu übertragen? Immerhin würden alle im Gespräch befindlichen Grundeinkommensmodelle mit erheblichen Veränderungen etwa in Bezug auf Steuern und Sozialleistungen einhergehen…
Lichtenberg: Wir schlagen ja kein politisches Konzept vor, insofern ist das kaum zu vergleichen. Wir sagen aber klar, dass wir Modelle wie das finnische nicht als sozial gerecht betrachten. Wir wollen nicht, dass wichtige Sozialleistungen wie etwa die Krankenversicherung wegfällt. Diese machen ja bei einem Grundeinkommen weiterhin Sinn. Wir setzen uns mit Finanzierungsmodellen auseinander. Sozialen Kahlschlag wollen wir natürlich nicht. Eine mögliche Option, ein Grundeinkommen ohne derartige Einschnitte zu finanzieren, wäre eine Finanztransaktionssteuer.
Eine aktuelle OECD-Studie kommt zu dem Schluss, dass ein Grundeinkommen, wie es etwa in Finnland erprobt wird, das Armutsproblem noch verschärfen würde. Kritiker wenden ein, dass das Grundeinkommen zu einem neoliberalen Modell avancieren könnte. Wie sehen Sie diese Gefahr?
Lichtenberg: Es kommt auf den Staat an, den man betrachtet. Die OECD-Studie bezieht sich auf das Experiment in Finnland. Finnland hat eine rechtsliberale Regierung, da verwundert es nicht, dass dort ein Grundeinkommens-Modell getestet wird, das fragwürdig ist. Deutschland ist sozialdemokratischer geprägt. Auch Kanada, wo demnächst ein großes Grundeinkommens-Experiment starten soll, ist sozialstaatlicher orientiert. Trotzdem stimmt es, dass diese Gefahr groß ist, zumal es auch viele Unternehmer gibt, die jetzt alle ein Grundeinkommen fordern – aber eben häufig Modelle, die nicht unbedingt arbeitnehmerfreundlich sind. Die finnische Variante halte ich langfristig jedenfalls nicht für sinnvoll.