Dass sich die Fragen nach der Ursache für die Verschuldung Jugendlicher und junger Erwachsener nicht mit einem Satz beantworten lässt, wird im Gespräch mit Caroline Tschapka von der Jugendschuldnerberatung des DGB München schnell deutlich. Verschuldung ist vielschichtig und damit immer ein Zusammenspiel vieler Faktoren.
BBX: Im Sommer hat das statistische Bundesamt Zahlen zur Jugendverschuldung veröffentlicht, die für Furore gesorgt haben, weil sie zeigen, was besonders ältere Menschen schon lange befürchten, nämlich dass Jugendliche vor allem bei Telefon- und Internetanbietern Schulden machen. Ist diese Aufregung gerechtfertigt? Sind Jugendliche in dem Bereich besonders anfällig?
Tschapka: So einfach ist das nicht, denn die Schuldenstruktur ist nicht eindimensional. Nicht jeder Jugendliche hat automatisch Handyschulden. Verschuldung ist immer eine Kombination aus mehreren Gläubigerarten, eine Kombination aus unterschiedlichen Schuldenursachen. Man muss also immer den Einzelfall anschauen, denn da gibt es große Unterschiede.
BBX: Was birgt Ihrer Erfahrung nach für junge Leute das größte Risiko, sich zu verschulden?
Tschapka: Es ist natürlich so, dass die größte Gefahr die volle Geschäftsfähigkeit ist, die man mit 18 erreicht. Denn das bedeutet, dass man mit seiner Unterschrift einen Vertrag abschließen kann und sozusagen ein Dauerschuldverhältnis eingeht. Beispielsweise unterschreibt der junge Erwachsene einen Handyvertrag mit einer bestimmten Grundgebühr im Monat und einer Laufzeit von 24 Monaten. Solche Verträge sind für Jugendliche natürlich reizvoll, besonders, wenn sie dann dazu noch ein Smartphone bekommen. Es können dann natürlich auch andere Verträge unterschrieben werden. Zum Teil ist es dann so, dass die jungen Erwachsenen erst einmal kurzfristig denken, Verträge unterschreiben, aber nicht langfristig überlegen, ob sie den Vertrag wirklich für 24 Monate einhalten können.
Fehlende Finanzkompetenz
BBX: Aber es gibt doch heutzutage auch viele Verträge, die monatlich kündbar sind, mit Flatrates, mit denen man so viel telefonieren kann, wie man will. Wie können dann trotzdem so hohe Schulden aufgebaut werden?
Tschapka: Das liegt oft an der fehlenden Finanzkompetenz. Viele wissen einfach nicht, was sie mit ihrer Unterschrift anrichten können oder auch was sie da unterschreiben. Zum Teil wird der Vertrag nicht gelesen und das ist dann natürlich schwierig. Und es gibt nun mal auch Verträge, die 24 Monate laufen. Das Problem ist, dass viele Jugendliche, viele junge Erwachsene eher kurzfristig denken und sich spontan für einen Vertrag oder ein Handy entscheiden und das eben, ohne die Vertragsbedingungen zu lesen. Oft fehlt das längerfristige Denken, die Überlegung, welche Konsequenz ein so lange laufender Vertrag mit sich bringt. Da ist schon einiges an Aufklärungsbedarf nötig. Viele denken auch, dass sie aus dem Vertrag wieder rauskommen und vorher kündigen können. Zum Teil ist es auch so, dass die Verkäufer etwas anderes mitteilen, als tatsächlich im Vertrag steht und da wird eher dem Verkäufer vertraut, als dass die Vertragsbedingungen durchgelesen werden. Das ist natürlich eine große Gefahr.
BBX: Kann man sagen, dass eine Altersgruppe von der Verschuldung besonders betroffen ist?
Tschapka: Dadurch, dass die Jugendlichen erst mit 18 Verträge schließen können, liegt bei uns das Durchschnittsalter bei Anfang 20.
BBX: Das heißt, die Jugendschuldnerberatung ist Anlaufstelle für Menschen zwischen 18 und 25 Jahren?
Tschapka: Nicht nur. Wir beraten auch Minderjährige. Es kommen auch Jugendliche mit 16 Jahren zu uns. Die Kriterien sind also eigentlich nur unter 26 Jahre zu sein und in München zu wohnen.
Das Problem ist, dass viele Jugendliche, viele junge Erwachsene eher kurzfristig denken und sich spontan für einen Vertrag oder ein Handy entscheiden und das eben, ohne die Vertragsbedingungen zu lesen
BBX: Wenn man erst mit 18 geschäftsfähig ist, wie kann es dann schon vor dem 18. Geburtstag zur Verschuldung kommen?
Tschapka: Das passiert beispielsweise durch Fahren ohne Fahrschein, also Erschleichen von Leistungen bei den öffentlichen Verkehrsunternehmen. Wer erwischt wird, muss dieses erhöhte Beförderungsentgelt zahlen und das können einige eben nicht. So häufig passiert das aber nicht. Da haben wir nur vereinzelt Fälle – vielleicht zwei im Jahr.
BBX: Um was für Beträge handelt es sich in solchen Fällen?
Tschapka: Beispielsweise hatten wir einen Fall, da lag die Verschuldung bei 400, – Euro. Also nicht ganz so hoch. Aber in dem Alter haben solche Beträge auch einen anderen Stellenwert.
Vielen ist die Schuldenursache unklar
BBX: Generell: Ist es so, dass junge Leute immer weniger lernen mit Geld umzugehen oder den Wert von Geld richtig einzuschätzen? Möglicherweise auch in Hinblick auf die Tatsache inzwischen alles mit Karte zahlen zu können?
Tschapka: Zu der allgemeinen Entwicklung kann ich nichts sagen, dazu müsste man sich die statistischen Zahlen anschauen. Für uns hier in der Jugendschuldnerberatung kann ich sagen, dass wir das nicht merken. Prinzipiell muss immer der Einzelfall angeschaut werden. Es gibt mehrere Faktoren, die in die Situation mitreinspielen. Viele Jugendliche kommen über eine Betreuung oder einen Pädagogen zu uns. Viele von denen sind in mehreren Bereichen sehr instabil. Das betrifft dann nicht nur die Finanzkompetenz oder das Haushalten von Einnahmen, sondern auch die familiäre Situation, die psychische, die soziale, die Situation mit den Freunden, da bestehen oft Abhängigkeiten. Auch die berufliche Situation ist wichtig, die jungen Leute haben zum Beispiel keinen Job, sind aus der Ausbildung geschmissen worden. Das alles in Kombination hat auch einen Einfluss auf die Schulden und darauf, dass Schulden gemacht werden.
BBX: Ist es möglich zu sagen, dass die Jugendlichen, die sich verschulden, aus einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht kommen?
Tschapka: Das ist deshalb schwer zu sagen, weil wir nicht repräsentativ für verschuldete Jugendliche allgemein, in ganz Deutschland sind. Die, die ihre Situation vielleicht mithilfe der Familie oder anderen Netzwerke irgendwie lösen können, kommen nicht zu uns. Deswegen wären unsere Zahlen verfälscht. Tatsache ist: Bei uns ist das Bildungsniveau eher gering, die Betroffenen kommen eher aus bildungsschwachen Familien. Die meisten haben Hauptschulabschluss, waren auf der Förderschule oder haben gar keinen Abschluss. Natürlich kommen schon einige mit Qualifikation, aber nur wenige mit mittlerer Reife und ganz wenige mit Abitur. Aber das auf Jugendlich generell zu verallgemeinern, das geht nicht. Viele andere informieren sich zum Beispiel im Internet, oder haben Eltern, die die Verschuldung abfangen.
BBX: Sie sagen, dass viele Jugendlichen zu Ihnen kommen, weil Sie über eine Betreuung oder Pädagogen zu Ihnen geschickt werden. Sind sich diese jungen Leute dann überhaupt ihrer Situation bewusst?
Tschapka: Einsichtsfähigkeit ist zum Teil vorhanden, zum Teil nicht. Manche haben einfach das Wissen nicht. Die Grundlagen und Basics zur Finanzkompetenz müssen dann erst aufgebaut werden. Da geht es darum: Wie lese ich einen Kontoauszug? Wie ein offizielles Schreiben? Wie reagiere ich darauf? Vielen ist gar nicht bewusst ist, was sie gemacht haben, oder was genau die Ursachen für Ihre Situation sind und was das für Folgen haben kann. Dann versuchen wir erst mal aufzuklären und die Schuldenursachen bewusst zu machen, damit dann auch reflektiert damit umgegangen werden kann. In den meisten Fällen klappt das, aber bei manchen auch nicht. Es gibt auch junge Leute, denen das alles egal ist, die weiter Verträge unterschreiben und Schulden machen. Die kann man erst mal nicht beraten, die sind beratungsresistent.
Schuldnerberatungsvertrag regelt die Zusammenarbeit
BBX: Ist irgendwann der Punkt erreicht, dass Sie eine Beratung abbrechen, weil Sie der Meinung sind, dass es keinen Sinn mehr hat weiterzumachen?
Tschapka: Ja. Ein Beispiel wäre, wenn während der Beratung weiterhin über mehrere Monate neue Schulden gemacht werden. Das ist ein Kriterium, wo wir sagen: Das funktioniert einfach nicht. Wir haben auch einen Schuldnerberatungsvertrag, der die Zusammenarbeit regelt. Eine Regel daraus ist: „Keine neuen Schulden machen und alles vorher mit uns absprechen.“ Natürlich gibt es eine bestimmte Probezeit. Es geht ja auch und geht nicht von heute auf morgen, dass Betroffene ihr Verhalten ändern oder eine Einsichtsfähigkeit entwickeln. Wir lassen ihnen schon genug Zeit. Aber wenn es danach immer noch nicht funktioniert, dann muss man in manchen Fällen die Beratung abbrechen.
BBX: Wie läuft eine Beratung bei Ihnen ab, wenn jemand kommt und Hilfe braucht?
Tschapka: Generell ist es so, dass wir zweimal in der Woche Telefonberatung und offene Sprechstunde haben. Vor allem wird die offene Sprechstunde besucht, weniger die Telefonberatungszeiten. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen wollen wirklich eher die persönliche Kurzberatung. In der ersten Beratung geht es gezielt um Existenzsicherung und den Schuldnerschutz, damit ein bestimmtes Einkommen zur Verfügung steht, um überhaupt das eigene Leben zu finanzieren. Das ist bei vielen nicht der Fall. In einigen Fällen ist es beispielsweise so, dass noch bestimmte Leistungen beantragt werden müssen oder beispielsweise das Girokonto in ein P-Konto umgewandelt werden muss. Wenn die Existenzsicherung gegeben ist und ein P-Konto eingerichtet ist , dann geht es darum, dass man das Einkommen und die Schulden analysiert und nach einer Möglichkeit sucht die Schulden jetzt oder zukünftig zurückzuzahlen. Wenn das nicht geht, dann gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Diese Analyse vom Einkommen bzw. vom finanziellen Verhalten ist enorm wichtig, weil das Ziel ja ist, dass keine neuen Schulden gemacht werden. Und das nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Denn es geht vor allem darum, den Betroffenen bewusst zu machen, was sie für Ausgaben haben und ob die Ausgaben die Einnahmen überschreiten.
Es geht vor allem darum, den Betroffenen bewusst zu machen, was sie für Ausgaben haben und ob die Ausgaben die Einnahmen überschreiten
BBX: Wie groß ist bei Jugendlichen die Chance, dass sie aus ihrer Verschuldung wieder herauskommen und nicht in der Schuldenspirale drinbleiben?
Tschapka: Wenn sie erst mal zu uns gekommen sind und sich ihre Situation bewusst gemacht haben, dann ist die Chance schon ganz gut, dass sie auch rauskommen. Es gibt ja unterschiedliche Schuldenregulierungsmöglichkeiten und man muss schauen, welche für den Jugendlichen oder für den jungen Erwachsenen passt. Das ist je nach Schuldenhöhe, Gläubigerstruktur und Einkommen dann im Einzelfall abzuklären. Wenn jemand längerfristig zahlungsunfähig ist, gibt es schon die Möglichkeit vom Verbraucherinsolvenzverfahren. Für viele ist es schon eine Erleichterung hierher zu kommen und eine Info zu bekommen was passieren kann, was sie machen können, was sie für Rechte haben, wie sie sich schützen können und dass sie einen Ansprechpartner haben. Das beruhigt schon enorm.
Die Existenzsicherung ist absolute Grundlage
BBX: Was sind die größten Fehler, die ich in Hinblick auf Schulden und Verschuldung machen kann? Welche Fehler beobachten Sie in der Praxis immer wieder?
Tschapka: Die erste Sache ist natürlich, einfach einen Vertrag zu unterschreiben, ohne ihn zu lesen und die Bedingungen genau zu kennen. Aber auch, sich von dem Vertragspartner solchen Druck machen zu lassen, dass man den Strom oder die Miete nicht mehr zahlt. Diesen Fehler machen viele – auch in der Erwachsenenschuldnerberatung – dass sie sich so viel Druck machen lassen von den Gläubigern und deswegen die Miete oder den Strom nicht zahlen, dabei ist die Existenzsicherung die absolute Grundlage. Auch die allgemeine Finanzkompetenz ist wichtig. Man muss sich über die Verträge informieren, darf nicht sofort unterschreiben. Deswegen ist es empfehlenswert einen Vertrag erst mal mitzunehmen und nicht sofort zu unterschreiben. Ein weiterer großer Fehler, der immer wieder gemacht wird, ist der fehlende Überblick über Einnahmen und Ausgaben. Das birgt natürlich immer eine Gefahr in sich. Wenn man nicht weiß, was vom Konto abgeht, ist man schnell im Minus. Des Weiteren ist es wichtig, vor Auszug aus dem Elternhaus, zu lernen, wie man mit Geld umgeht und welche Ausgaben gemacht werden müssen.
Ein großer Fehler, der immer wieder gemacht wird, ist der fehlende Überblick über Einnahmen und Ausgaben
BBX: Das heißt, wenn ich ein finanzielles Bewusstsein entwickle, dann kann ich der Verschuldung auch gut vorbeugen?
Tschapka: Genau. Das eigene Ausgabeverhalten zu reflektieren ist wichtig.
BBX: Gibt es denn viele, die so ein Bewusstsein gar nicht mehr lernen? Die vorgelebt bekommen, dass es auch okay ist, Dinge zu kaufen und dann in Raten zu zahlen?
Tschapka: Das ist möglich. Aber ein fehlendes Bewusstsein kann ganz unterschiedliche Ursachen haben. Natürlich kann es sein, dass die Eltern den Umgang mit Geld nicht richtig weitergeben oder dass die Jugendlichen keine Eltern mehr haben, die das weitergeben können und dass dann natürlich erst ein Bewusstsein erlernt werden muss. Aber wichtig ist erst mal zu wissen, dass man kein Bewusstsein hat. Natürlich hängt der Umgang mit Geld auch davon ab, in welcher Gruppe man ist. Die Freunde haben immer einen großen Einfluss. Und dadurch, dass sich die Jugendlichen noch nicht so entwickelt haben und die Persönlichkeit noch nicht so ausgeprägt ist, lassen sie sich schneller beeinflussen und in Abhängigkeiten reinziehen.
BBX: Also kommt die Verschuldung auch durch einen Druck von außen, durch die Erwartungshaltung anderer?
Tschapka: Zum Teil. Zum Teil werden die Schulden auch für andere gemacht. Verträge werden für andere unterschrieben, für Freunde, für Eltern, für diejenigen, die vielleicht schon einen negativen Schufa-Eintrag haben und die keine Verträge mehr bekommen. Das kommt schon häufig vor. Es wird eine Verschuldung aufgenommen, um anderen zu ermöglichen weiterhin bestimmte Geräte zu haben oder ihnen bestimmte Dinge zu ermöglichen.
BBX: Erleben Sie solche Fälle oft?
Tschapka: Ja, schon. Vor allem bei den Jugendlichen, jungen Erwachsenen ist es so, dass sie oft in einem Geflecht verstrickt sind, mit Freunden oder mit der Familie und sich enorm beeinflussen lassen.
Die Angst vor dem Gerichtsvollzieher
BBX: Wie erleben Sie die jungen Leute, die zu Ihnen kommen, in welchem Bereich leiden die am meisten unter ihrer finanziellen Schieflage?
Tschapka: Die größte Angst ist immer der Gerichtsvollzieher, wenn der nach Hause kommt. Davor haben viele eine enorme Angst. Oder auch vor einer Kontopfändung. Natürlich auch, weil die Gefahr dann besteht, dass das Geld weg ist, wenn das Konto nicht innerhalb von vier Wochen in Pfändungsschutzkonto umgewandelt wird. Das sind die Sachen, wo das Leiden sehr hoch ist.
BBX: Aber Sie beobachten nicht, dass Jugendliche trotz der Überschuldung weiterhin Schulden machen, einfach um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben? Dass sie beispielsweise Kino- oder Clubbesuche zahlen, die sie sich eigentlich nicht leisten können?
Natürlich hängt der Umgang mit Geld auch davon ab, in welcher Gruppe man ist. Die Freunde haben einen großen Einfluss
Tschapka: Ja, viele leiden in dem Bereich, wenn sie mit Freunden nicht mehr so viel machen können und die Unternehmungen ein bisschen reduzieren müssen. Aber es gibt ja auch andere Möglichkeiten. Man kann kostenlose Angebote in Anspruch nehmen. Das muss man ihnen einfach klarmachen. Oft kommt es auch auf den Freundeskreis an. Wenn man in einem Freundeskreis ist, in dem sehr viel Geld ausgegeben wird, dann kommt der junge Erwachsene enorm unter Druck. Es kann dann schon sein, dass er dadurch über seine Verhältnisse lebt und zu viel ausgibt, gerade für Freizeitaktivitäten. Hier ist es wichtig, dass er sein Verhalten und sein Ausgabeverhalten reflektiert. Wichtig ist, dass ein gutes Gefühl entwickelt wird, was gut für einen ist und was nicht.