Wer längere Zeit erkrankt ist, schafft die Rückkehr ins Arbeitsleben vielleicht nur Schritt für Schritt. Vielleicht ist man einem langen Arbeitstag noch nicht wieder voll gewachsen, vielleicht lässt die Aufmerksamkeit sehr schnell nach, vielleicht ermüdet man sehr bald als Folge der langen Einnahme von starken Medikamenten. Das Hamburger Modell sieht für solche Fälle während der Phase des Krankengeldbezugs eine stufenweise Wiederaufnahme der bisherigen beruflichen Tätigkeit vor. Der Bundesgerichtshof setzt mit seinem aktuellen Urteil an diesem Modell an. Er sagt, wenn der Versicherte seinem Beruf in der bisherigen Ausgestaltung auch nur teilweise wieder nachgehen kann, fehlt es an der notwendigen Arbeitsunfähigkeit (Az. IV ZR 54/14). Sie wäre allerdings die Voraussetzung, um überhaupt ein Krankentagegeld bei teilweiser Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Ausschlaggebend für die Entscheidung ist, dass die wieder aufgenommene Tätigkeit in vollem Umfang der zuletzt ausgeführten Berufstätigkeit entspricht. Nicht maßgeblich ist nach Meinung des Bundesgerichtshofs der Umfang der Tätigkeit. Wenn also ein Versicherter nach längerer Arbeitsunfähigkeit Krankengeld bezieht und danach eine Wiedereingliederung in Anspruch nimmt und vorübergehend nur zu 60 % arbeiten kann, ist der reduzierte Umfang der Arbeitsfähigkeit kein Grund für den fortgeführten Bezug des Krankengeldes. Der Versicherte erhält vielmehr kein Krankengeld mehr und muss sich mit dem reduzierten Einkommen begnügen, solange er nur in einem geringeren Umfang arbeiten kann. Doch was bedeutet dieses überraschende Urteil zukünftig für Versicherte?
Wiedereingliederung als Reha-Bestandteil
Wer längere Zeit im Berufsleben steht, hat die Situation sicher schon einmal erlebt: Ein langjähriger Kollege erkrankt an Krebs, er erleidet einen Herzinfarkt oder eine andere schwerwiegende Erkrankung. Wenn die sechswöchige Lohnfortzahlung des Arbeitgebers endet, beginnt die Leistung des Krankengeldes der gesetzlichen Krankenkasse oder des Krankentagegeldes der privaten Krankenversicherer. Ist der Erkrankte nach einiger Zeit wieder geheilt, könnte es ihm in den ersten Wochen noch schwer fallen, der gewohnten Berufstätigkeit in vollem Umfang nachzugehen. Bisher konnten die Betroffenen nach Rücksprache mit ihrem Arbeitgeber dann eine Wiedereingliederung durchführen. Sie erlaubte bis zu mehrere Wochen lang die Reduzierung der Arbeitszeit, um sich langsam wieder an das Arbeitsleben zu gewöhnen. Nach einer langen Erkrankung und einer vielleicht folgenden Reha war es dem Versicherten dann nach rund vier bis sechs Wochen der Übergangszeit wieder möglich, seiner bisherigen Arbeit in vollem Umfang nachzugehen. In dieser Phase wurde das Krankengeld durch den Versicherer weiter gezahlt, sofern die gesamte Bezugsdauer nach den gesetzlichen und den vertraglichen Vorschriften noch nicht abgelaufen war. Die Wiedereingliederung wurde damit letztlich zum elementaren Bestandteil einer Reha-Maßnahme, der Versicherte hatte die Chance, irgendwann wieder voll seiner Berufstätigkeit nachzugehen und seinen Lebensstandard zu sichern. An dieser Möglichkeit setzt das BGH-Urteil nun an, denn sie bleibt den Erkrankten in der stufenweisen Wiedereingliederung nach einer langen Erkrankung in Zukunft verwehrt.
Ein Urteil gegen das Verbraucherinteresse
Das BGH-Urteil ist ganz eindeutig nicht im Interesse der Versicherten. Der Erkrankte hat somit letztlich nur die Möglichkeit, seiner Berufstätigkeit nach langer Krankheit von heute auf morgen wieder in vollem Umfang nachzugehen. Nur dann würde er auch sein volles Einkommen erhalten. Gelingt ihm das nicht und ist er vorübergehend aus gesundheitlichen Gründen noch nicht in der Lage, wieder seine volle Arbeitsleistung in seinem bisherigen Beruf zu erbringen, müsste er mindestens vorübergehend eine Reduzierung seiner Arbeitszeit mit seinem Arbeitgeber vereinbaren. Dieser Wechsel zur Teilzeitarbeit kann für einen befristeten Zeitraum vereinbart werden, sofern der Arbeitgeber diesem Vorhaben zustimmt. Im schlimmsten Fall könnte es allerdings passieren, dass der Arbeitgeber einen unbefristeten Teilzeitvertrag abschließen will und einer Befristung aus gesundheitlichen Gründen nicht zustimmt. Dem gerade erst aus langer Krankheit zurückgekehrten Arbeitnehmer bleibt dann letztlich nur übrig, sofort wieder voll ins Berufsleben einzusteigen, eine unbefristete Teilzeit zu akzeptieren oder seinen Anspruch auf Befristung gerichtlich einzuklagen. Wohl keine Alternative ist im Interesse eines Arbeitnehmers, der nach einer ernsten Erkrankung wieder arbeiten gehen will und muss. Das Urteil des BGH ist letztlich also nur so zu verstehen, dass es jedem Verbraucherinteresse nachhaltig widerspricht. Doch welche weiteren Möglichkeiten hat der Arbeitnehmer in dieser Situation?
Verhandlung mit dem Arbeitgeber ist nötig
Als Ausweg bleibt dem Betroffenen in dieser Situation, mit seinem Arbeitgeber eine einvernehmliche Lösung zu suchen. Sie dürfte sehr von seiner ausgeübten Tätigkeit abhängen. Gerade bei einer Arbeit im Büro ist eine Möglichkeit, ein oder zwei Tage im Home Office zu arbeiten. Der Arbeitnehmer würde seiner Tätigkeit dann von zu Hause aus nachgehen. Das ist häufig weniger anstrengend. Die Effektivität steigt, die gleiche Menge an Arbeit kann in kürzerer Zeit absolviert werden. Wenn der Arbeitgeber diesem Vorgehen für einige Wochen zustimmt, gelingt der Wiedereinstieg ins Berufsleben unter Umständen leichter.
Eine Alternative könnte sein, vorübergehend eine andere Arbeit zu übernehmen. Auch dies muss selbstverständlich mit dem Arbeitgeber verhandelt werden. Sollte der Versicherte befristet eine andere Tätigkeit ausüben und eine Wiedereingliederung in Stufen anstreben, dürfte auch der Anspruch auf Krankengeld oder Krankentagegeld nach dem BGH-Urteil fortbestehen. Dieses sieht nämlich einen Verzicht auf diesen Anspruch nur vor, sofern die bisherige Arbeit unverändert aufgenommen wird. Kann der Erkrankte aber nur eine andere Arbeit ausführen, ist eine stufenweise Wiedereingliederung offenbar möglich. Auch das Krankentagegeld würde dann weiter gezahlt.
Letztlich ist für jede Lösung aber eine individuelle Absprache mit dem Arbeitgeber nötig. Er muss seinem Mitarbeiter hier entgegenkommen und mit ihm gemeinsam eine tragfähige Lösung erarbeiten. Bei langjährigen Arbeitnehmern dürfte die Verhandlung einer einvernehmlichen Absprache möglich sein. Trotzdem ist der Mitarbeiter auf seinen Vorgesetzten angewiesen. Es besteht kein Rechtsanspruch auf eine vorübergehende Anpassung der Arbeitsinhalte oder der Arbeitszeit. Das Urteil des Bundesgerichtshofs ist somit letztlich nicht im Interesse des Mitarbeiters, aber auch nicht im Interesse des Unternehmens, das einen hervorragend qualifizierten Arbeitnehmer nach längerer Krankheit gerne zurück im Betrieb sieht und ihm den Wiedereinstieg erleichtern möchte. Mit dem aktuellen Urteil hat man Arbeitnehmern und Arbeitgebern sicher keinen wirkungsvollen Dienst erwiesen, sondern einen bisher in der Praxis funktionierenden Ansatz im Interesse aller Beteiligten für die Zukunft weitgehend unterbunden.