Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter sind gespalten. Einerseits begrüßen sie überwiegend den gesetzlichen Mindestlohn von aktuell 8,84 Euro brutto pro Stunde, denn er hat die Lage vieler Geringverdiener deutlich verbessert. Auf der anderen Seite wird die Höhe des Mindestlohns immer wieder kritisiert und eine Anhebung gefordert. Bis zu zwölf Euro müsse er betragen, um existenzsichernd zu sein. Fest steht: In seiner aktuellen Höhe führt der Mindestlohn geradewegs in die Altersarmut, denn er bringt auch nach Jahrzehnten der Beschäftigung gerade mal eine Rente auf dem Niveau der Grundsicherung.
Arbeitgeber unterlaufen Mindestlohn
Doch das ist nicht einmal das größte Problem. Aktuell, so haben Studien ergeben, erhalten rund eine Million Arbeitnehmer nicht den ihnen zustehenden Mindestlohn. Zahlreiche Arbeitgeber tricksen, um den Stundenlohn zu drücken, obwohl das illegal ist. 2017 forderte die Böckler-Stiftung, die Einhaltung des Mindestlohn-Gesetzes müsse viel energischer kontrolliert werden. Bislang hat sich in dieser Hinsicht aber nicht viel getan. Hinzu kommt, dass viele Arbeitnehmer sich nicht wehren, weil sie Angst um ihren Job haben. Doch das ist das falsche Vorgehen – denn es bestätigt die Arbeitgeber in ihrer Haltung, die Lohnuntergrenze zu umgehen.
Doch welche Rechte haben betroffene Arbeitnehmer? Die Grundregel ist simpel und im Gesetz festgeschrieben: Wer Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn hat, der muss auch die vollen 8,84 Euro pro Stunde erhalten. Abweichungen, die den Lohn unter diesen Betrag drücken, sind unwirksam und verstoßen gegen das Mindestlohngesetz. Das macht §3 MiLoG deutlich: „Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind insoweit unwirksam. Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer kann auf den entstandenen Anspruch nach § 1 Absatz 1 nur durch gerichtlichen Vergleich verzichten; im Übrigen ist ein Verzicht ausgeschlossen. Die Verwirkung des Anspruchs ist ausgeschlossen.“
Diese Tricks sind illegal
Das heißt: Sämtliche bei Arbeitgebern beliebten Tricks zur Umgehung des Mindestlohns sind faktisch illegal. Arbeitnehmer können gerichtlich dagegen vorgehen und sollten das auch tun. Hier ein paar weit verbreitete Beispiele:
Überstunden
Gelegentliche Überstunden sind normal und müssen in der Regel vom Arbeitnehmer akzeptiert werden. Regelmäßige unbezahlte Überstunden sind allerdings ein Mittel, mit dem systematisch der Mindestlohn unterlaufen wird. Bei gleichem Gehalt werden mehr Arbeitsstunden geleistet und der Mindestlohn so gedrückt. Das ist illegal. Der Arbeitnehmer sollte in diesem Fall seine tatsächlichen Arbeitszeiten über einen gewissen Zeitraum (zum Beispiel einen oder zwei Monate) genau dokumentieren, dazu auch möglicherweise vorhandene schriftliche Belege und Arbeitsanweisungen. Mit diesen Mitteln kann man den zu wenig gezahlten Lohn einklagen.
Abmachung
Mancher Arbeitgeber sind noch dreister. Sie setzen auf die Unwissenheit des Arbeitnehmers und überzeugen ihn, eine abweichende Lohnvereinbarung, die unter dem Mindestlohn liegt, zu unterzeichnen. Wer seine Unterschrift unter so ein Dokument gesetzt hat, kann den zu wenig gezahlten Lohn trotzdem einklagen. Denn solche Nebenabreden sind nach dem MiLoG illegal und daher unwirksam.
Zuschläge
Ein weiterer beliebter Trick: Die Verrechnung von Feiertags- und Nachtzuschlägen. Es ist üblich, dass man für die Arbeit an Feiertagen und Nachts Zuschläge zum Lohn erhält, der Nachtzuschlag ist sogar gesetzlich verpflichtend. Das heißt: Er muss zwingend zum Stundenlohn von mindestens 8,84 Euro hinzukommen. Eine einfache Verrechnung der Zuschläge mit dem Ergebnis, dass man auch Nachts nur noch 8,84 Euro in der Stunde verdient, ist nicht zulässig. Dagegen sollte man gerichtlich vorgehen. Dasselbe gilt für die Verrechnung von Weihnachts- oder Urlaubsgeld.
Trinkgeld
Ein schon recht alter Trick ist es, dass der Arbeitgeber die Trinkgelder einbehält. Das darf er nicht. Er darf ebensowenig die Trinkgelder mit dem Lohn verrechnen, so dass Lohn plus Trinkgeld den Mindestlohn ergibt. Auch gegen diese sehr weit verbreitete Praxis sollte man klagen.
Die Umgehung des Mindestlohns seitens der Arbeitgeber ist, leider, nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Grund dafür sind die viel zu laschen Kontrollen seitens des personell unterbesetzten Zolls. Betroffene Arbeitnehmer haben also gar keine andere Möglichkeit, als zu klagen – und das sollten sie auch tun. In ihrem eigenen und im Interesse ihrer Kollegen. Angst vor Jobverlust muss man dabei übrigens nicht haben. Wenn man sich sonst untadelig verhält, wird kein Gericht eine Entlassung akzeptieren, nur weil man sein Recht einklagt.