Schon zu Beginn der Koalitions-Sondierungen forderte die SPD die Einführung einer Bürgerversicherung. Der Gedanke dahinter ist schnell erklärt: Anstatt wie heute bei der Aufteilung zwischen privat und gesetzlich versicherten Patienten würde die Bürgerversicherung zur Pflichtversicherung der gesetzlichen Krankenkassen für alle Bürger. Auch Beamte und Selbständige müssten einzahlen. Private Zusatzversicherungen gäbe es weiterhin als Option. Die Maßnahme soll in der Theorie die Zwei-Klassen-Medizin ebenso abschaffen wie überflüssige Behandlungen von Privatpatienten, die den Ärzten und Krankenhäusern deutlich mehr Geld einbringen als die oft pauschalierten Sätze für Kassenpatienten.
Befürworter der Idee wollen die Bürgerversicherung teils auch für die Rente einführen sowie im nächsten Schritt die Beitragsbemessungsgrenze abschaffen. Diese sorgt dafür, dass Gutverdiener einer kleineren Teil ihres Bruttoeinkommens für Sozialausgaben aufwenden müssen als Gering- und Normalverdiener. Gegner des Konzeptes finden sich naturgemäß in CDU und CSU, in der FDP, bei Ärzteverbänden sowie in der privaten Versicherungsindustrie.
Aber welche Argumente sprechen für, welche gegen eine Bürgerversicherung? Und wie stichhaltig sind diese Argumente?
PRO Bürgerversicherung
Die Bürgerversicherung könnte für mehr Gerechtigkeit sorgen. Aktuell ist es so, dass Kassenpatienten mitunter keine freie Arztwahl haben und sich bei Spezialisten auf teils sehr lange Wartezeiten einstellen müssen. Durch Reformen im Gesundheitssystem in den letzten zwanzig Jahren wurden die Leistungen der gesetzlichen Kassen immer weiter verwässert, immer mehr Leistungen (wie zum Beispiel der Zahnersatz) werden von den gesetzlichen Kassen nicht oder nur noch in sehr minimalem Umfang übernommen. So ist längst eine Zwei-Klassen-Medizin entstanden, in der jene, die viel Geld haben, besser und bevorzugt behandelt werden. Zugleich zeigen aber auch Studien, dass in Deutschland immer mehr unnötige Behandlungen durchgeführt werden – weil sie Geld bringen.
Versicherte der Privatkassen ächzen zudem im Alter unter explodierenden Beiträgen, viele können ihre Gesundheit nicht mehr bezahlen. Wer als gut verdienender Selbständiger eine private Krankenversicherung zu oft sehr günstigen Konditionen abschließt, geht im Falle von Arbeitslosigkeit ein enormes wirtschaftliches Risiko ein.
All das könnte eine Bürgerversicherung ändern, wenn sie richtig konzipiert wäre. So müssten die Basisleistungen, die zum Umfang solch einer Versicherung gehören, neu verhandelt und gesetzlich festgelegt werden. Beispielsweise müssten chronisch Kranke von Medikamentenzuzahlungen befreit und Leistungen wie Zahnersatz wieder übernommen werden. Ohne eine generelle Bevorzugung von Privatpatienten könnte eine Gleichbehandlung hergestellt werden. Das alles muss aber auch finanzierbar sein. Ohne die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze ist das kaum möglich. Außerdem müssten auch Kapitalerträge Abgabenpflichtig werden. Von derartigen Forderungen, die in der Union auf vehemente Ablehnung stoßen, hat die SPD aber inzwischen Abstand genommen. Der Ökonom Christoph Butterwegge bezeichnete die aktuellen Konzepte der Sozialdemokraten daher als „Etikettenschwindel“.
CONTRA Bürgerversicherung
Die Gegner der Bürgerversicherung glauben, dass das Konzept keine Verbesserung, sondern nur neue Probleme mit sich bringen würde und verweisen gerne darauf, dass das aktuelle Versicherungskonzept überwiegend gut funktioniert. Das ist zwar richtig. Die Vielzahl an Einzelfällen, in denen es nicht funktioniert, blenden sie aber einfach aus.
Die private Versicherungsindustrie hingegen sieht ihr komplettes Geschäftsmodell gefährdet. Diese Befürchtung ist allerdings kaum begründet. Zwar würde das Geschäft deutlich schrumpfen, private Zusatzversicherungen würde es aber weiterhin geben.
Aber auch aus den gesetzlichen Kassen kommt Gegenwind. Sie befürchten teilweise, dass der Wechsel in das neue System zu Beitragssteigerungen für die Versicherten führen könnte, wenn zuviele Beamte und Selbständige auf einmal in die gesetzlichen Kassen wechseln. Diese Befürchtung ist berechtigt, zumindest wenn die Einführung überstürzt und ohne fundierte Gegenfinanzierung erfolgen würde.
Ein weiteres Gegenargument lautet, dass eine Bürgerversicherung die Zwei-Klassen-Medizin zementieren würde, weil Geringverdiener sich mit Basisleistungen begnügen müssten, während Gutverdiener sich für alle Eventualitäten privat zusatzversichern könnten. Das würde allerdings nur dann passieren, wenn der Leistungskatalog nicht überarbeitet würde.
FAZIT
Die Pro-Argumente überwiegen und sind zum jetzigen Zeitpunkt deutlich überzeugender als die Gegenargumente. Ob eine Bürgerversicherung für mehr Gerechtigkeit sorgt, hängt aber maßgeblich von ihrer Ausgestaltung ab. Ansonsten könnte sie das Gegenteil bewirken.