Die Verbraucherzentralen hätten gern eine Zusendung der Policen-Kopien bis Ende September 2015. Es geht um den Versicherungsschein und dazu um die aktuelle Standmitteilung, aus der hervorgeht, welcher Überschuss für den Kunden nach Ablauf der Police noch zu erwarten ist.
Standmitteilungen überprüfen
Dabei sollten die Kunden nach Möglichkeit alle Standmitteilung bis ins Jahr 2007 zurück einreichen, wie der Chef der Hamburger Verbraucherzentrale Günter Hörmann mitteilte. Daran lassen sich die Auswirkungen sowohl der Niedrigzinsphase als auch gesetzlicher Reformen der letzten Jahre ablesen. Die Verbraucherzentrale wollen die Standmitteilungen auf Nachvollziehbarkeit und Transparenz überprüfen sowie einer systematischen Auswertung unterziehen. Sie hoffen durch die Aufforderung an die Versicherungskunden auf große Datenbestände, aus denen am Ende eine handfeste Analyse zur Entwicklung der Policen erwächst.
Weiteres Ziel der Verbraucherschützer darin, für die Versicherer eine Muster-Mitteilung zu den Leistungen und zum Status einer Lebensversicherung (LV) zu entwerfen. Die bisherigen Schreiben der einzelnen Unternehmen seien zu uneinheitlich, sie enthielten laut Hörmann vielfach auch verwirrende Informationen. Die Auswertung und der Musterentwurf sollen ab 2016 vorliegen. Es geht um viel Geld, deutsche Privathaushalte zahlen jährlich rund 190 Milliarden Euro in den Versicherungsmarkt ein, pro Bürger also über 2.300, – €.
Förderung der Analyse durch den Bund
Die Überprüfung der Lebensversicherungen ist Teil eines größeren Programms, das der Bund fördert. Bundesverbraucherschutz- und Justizminister Heiko Maas (SPD) hatte diese Initiative eingeleitet. Er informierte sich Anfang Juni 2015 zum Stand der Arbeit. Die neuen Finanzmarktwächter sitzen neben Hamburg in den Verbraucherzentralen von Baden-Württemberg, Hessen, Bremen und Sachsen. Es geht noch um mehr Finanzprodukte, darunter die Riester-Rente, Bausparverträge und Verbraucherkredite. Die Analysen werden laut Bundesminister Maas verdeutlichen, ob Finanzdienstleister unter Umständen Gesetze und Vorschriften strukturell missbrauchen. Die Verbesserungsvorschläge für solche Gesetze sollten laut Maas aus praktischen Erkenntnissen stammen. Die Förderung der Finanzmarktwächter durch den Bund beträgt 12,4 Millionen Euro, die sich auf einen Zeitraum von drei Jahren verteilen.
Mehr Transparenz bei Lebensversicherungen gefordert
Lebensversicherungen müssen möglicherweise neu strukturiert werden. Darüber hinaus benötigen die Kunden mehr Transparenz. Die MitarbeiterInnen der Hamburger Verbraucherzentrale haben bislang ermittelt, dass 75 % aller Besitzer einer Lebensversicherung durch Brüche ihrer Erwerbsbiografie, bedingt durch Krankheit, Arbeitsplatzwechsel oder -verlust, ihre Police vorzeitig aufgeben müssen. Dabei wird stets Geld verloren, denn die Policenkosten für den Abschluss entstehen am Anfang. Erst nach rund fünf Jahren beginnt so eine Lebensversicherung Gewinn zu erwirtschaften. Dorothea Mohn, zuständig für Finanzen beim Bundesverband der Verbraucherzentralen, forderte daher eine Neugestaltung der Policen. Möglicherweise müssten die Abschlusskosten künftig auf längere Zeiträume verteilt werden. Die Versicherungswirtschaft wehrt sich dagegen, da ihr Vertriebsmodell, das stark auf der Arbeit von Handelsvertretern und Versicherungsagenturen fußt, die sofort provisioniert werden wollen. Auch die Hamburger Senatorin für Verbraucherschutz Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) mahnte mehr Klarheit bei den Versicherungen an. Die Verbraucher sollten angesichts der eingesetzten Summen klar erkennen können, welche Kosten und Renditen bei einer LV-Police entstünden. Rationale Entscheidungen über so ein wichtiges, hochkapitalisiertes Finanzprodukt seien anders nicht zu treffen.
Hintergrund: Niedrigzinsphase beeinträchtigt LV-Geschäft
Die Versicherungswirtschaft leidet unter der anhaltenden Niedrigzinsphase, das Geschäft mit kapitalbildenden Lebensversicherungen ist ganz besonders betroffen. Seit 2013 wird zwischen der Politik und der Versicherungswirtschaft darüber diskutiert, ob die Konzerne Bewertungsreserven ausschütten sollen, um Altverträge mit viel höheren Garantiezinsen erfüllen zu können. Das hielt man für kontraproduktiv, denn eine Ausschüttung der Bewertungsreserven legen die Versicherer auf Neuverträge um, die dadurch niedriger verzinst werden. Experten warnten schon 2013 vor diesem Mittel. Zu diesem Zeitpunkt hatten die deutschen Versicherungskonzerne rund 90 Milliarden Euro in den Büchern. Schon seit 2011 waren sie gesetzlich verpflichtet worden, mehr Rückstellungen zu bilden, die Niedrigzinsphase hatte gerade begonnen. Seit 2012 schätzte die Versicherungswirtschaft den Gesamtumfang dieser Rückstellungen auf fünf Milliarden Euro jährlich. Die schwarz-gelbe Koalition des Jahres 2013 wollte die Versicherungskonzerne durch eine stärkere Beteiligung der Versicherungsnehmer entlasten. Letztere hätten, wenn die Pläne vollends umgesetzt worden wären, bei den Auszahlungen seit 2014 auf viel Geld verzichten müssen. Es entstand ein lauer Kompromiss zwischen der bestehenden Forderung an die Konzerne, auf Rückstellungen zu achten und der Option, wenigstens teilweise schon versprochene Überschussbeteiligungen der Kunden seit 2007 zu kürzen. Darauf zielt die Überprüfungsinitiative der Verbraucherzentralen.
2013 wurde sogar eine Härtefallklausel vorgeschlagen, die nachträgliche Abschläge bis zu fünf Prozent erlaubt hätte, was für einzelne Kunden einen Verlust von mehreren Tausend Euro bedeutet hätte. Diese Maßnahme war in dieser Form im Vermittlungsausschuss gescheitert. Durchgesetzt wurde eine Einzelfallregelung für einzelne Unternehmen, die sich an ihrer Solvabilität orientiert, also ihrem Vermögen, eine interne stabile Finanzstruktur zu erzielen. Hier gibt es Spielräume der Bilanzierung, welche die Unternehmen naturgemäß zu ihren Gunsten nutzen können. Das möchten die Verbraucherschützer überprüfen.
Analyse der LV-Ausschüttungen durch den map-Report
Der unabhängige map-Report untersucht alljährlich die Versicherungswirtschaft und liefert dazu einen Bericht über die Auszahlungen an einen Musterkunden. Auch Testsieger werden ermittelt, die Debeka liegt bei den Lebensversicherungen vorn. Tabellenschlusslicht ist die Gothaer Versicherung, die Differenz bei den Auszahlungen eines durchschnittlichen Kunden, der über rund 30 Jahre eine nicht zu hohe Summe in die LV eingezahlt hat, läge zwischen beiden Unternehmen bei immerhin 27.000, – €. Das zeigt den vorhandenen Spielraum und auch die Risiken für die LV-Kunden auf. Auch der renommierte map-Report, eine rein private Initiative des 2014 verstorbenen Gründers Manfred Poweleit, warnt vor Intransparenz bei Lebensversicherungen und zeigt wie beschrieben die krassen Leistungsunterschiede. Die Frage der Solvabilität war für Poweleit immer besonders wichtig und dürfte es auch für seine Nachfolger bleiben. Ein Versicherer kann nur entsprechend seiner Stärke leisten. So hatte etwa die Ergo-Versicherungsgruppe im Jahr 2013 gejammert, sie könne möglicherweise schon bald nicht einmal mehr die staatlich zugesicherten Garantiezinsen auf Altverträge zahlen – ein Alarmsignal für die Branche, das auch Kunden des Unternehmens beunruhigen sollte. Der map-Report hatte den Versicherern stets überlassen, ob sie freiwillig an den Analysen teilnehmen und das nötige Datenmaterial zustellen. Nur höchstens die Hälfte bis zwei Drittel aller Unternehmen nahm teil, wahrscheinlich eher die leistungsstärkeren Versicherer. Die Verbraucherschützer reagieren daher goldrichtig mit ihrer peniblen Überprüfung.