Steuern zu senken ist populär. Im Wahlkampf funktioniert das immer gut: Dem Bürger Entlastung versprechen. Aber auf welcher Grundlage? Die Steuerquote in Deutschland liegt im Jahr 2017 bei knapp 22 Prozent. Und damit im Mittelfeld, verglichen mit anderen europäischen Ländern. Das ist minimal mehr als vor zwanzig Jahren. Der durchschnittliche Einkommenssteuersatz beträgt knapp 25 Prozent, bei gemeinsam veranlagten Paaren sind es kaum 16 Prozent. Ist das wirklich zuviel? Oder kommt es den Menschen nur so vor, weil die Gesamtabgabenlast inklusive der Sozialabgaben fast das Doppelte beträgt?
Das Gefühl von Ungerechtigkeit
Im oberen Bereich sind die Steuern über Jahrzehnte immer wieder gesenkt worden, das beste Beispiel ist der Spitzensteuersatz, der heute zwar recht früh greift, dafür aber nur noch 42 Prozent beträgt. Auch der Steuerfreibetrag wird kontinuierlich angehoben. Ab 2018 liegt er bei 9000 Euro im Jahr, was Geringverdiener entlastet. Diesen machen allenfalls die Verbrauchssteuern zu schaffen, während die durchschnittliche Steuerlast sinkt, je mehr man verdient. Das wird als ungerecht empfunden.
Zum Ungerechtigkeitsgefühl trägt aber auch eine oft verzerrte mediale Darstellung bei. Wer kennt nicht die Aufrechnungen, nach denen man von Januar bis Juli „für den Staat“ arbeitet – und erst danach für sich selbst. Nur stimmt das eben nicht. Denn „der Staat“ sind wir alle. Die Beiträge für Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung zahlt man ein, um jene solidarisch zu unterstützen, die nicht oder nicht mehr einzahlen oder einzahlen können – und sie kommen jedem selbst zugute. Wer daran zweifelt möge Menschen aus Ländern ohne Krankenversicherung fragen.
Alle profitieren von höheren Steuern
Zwar ist es richtig, dass beträchtliche Steuersummen Jahr für Jahr verschwendet werden, wie der Bund der Steuerzahler regelmäßig belegt. Richtig ist aber auch, dass der Großteil der Steuern tagtäglich uns allen zugute kommt: Mit einer funktionierenden Infrastruktur; einem Sozialsystem, um das uns die ganze Welt beneidet; mit einer starken Wirtschaft und einer vielfältigen und lebhaften Kulturlandschaft, die so nur mit Hilfe staatlicher Förderung existieren kann.
Nein, das Problem sind nicht zu hohe Steuern. Das Problem sind zu niedrige Steuern. Uns fehlt eine Vermögenssteuer. Eine höhere Erbschaftssteuer könnte nachweislich der wachsenden Ungleichheit entgegenwirken. Eine Finanztransaktionssteuer könnte das immense Problem fataler Zockereien am Bankenmarkt eindämmen. Eine intensivere Kontrolle und Verfolgung von Steuerhinterziehung würde dem Staat (also uns allen) jährlich bis zu 50 Milliarden Euro zusätzlich einbringen. Eine härtere Haltung und Regulierung von Steuerparadiesen könnte die internationale Steuerkriminalität eindämmen, von der heute eine winzige Minderheit zu Lasten der Mehrheit profitiert. Und was noch besser ist: Hätte man den politischen Mut und Willen, all das umzusetzen – dann wäre es problemlos möglich, die Belastung kleiner und mittlerer Einkommen zu verringern.
In diesem Sinne: Wir brauchen Steuererhöhungen. Dringend.